Klimawandel – Das Thema des Europawahlkampfes

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Die Zeit läuft uns davon. Schnelle, weitreichende und beispiellose Änderungen in allen gesellschaftlichen Bereichen sind nach dem im Herbst veröffentlichten Sonderbericht des Weltklimarats IPCC erforderlich, um die Klimaerwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Die Europawahlen sind keineswegs unwichtig, wenn es darum geht, endlich wirksame Maßnahmen zur Minderung der Treibhausgas-Emissionen durchzusetzen. Es gibt auf EU-Ebene auch durchaus Vorstöße, mit denen ein ambitionierteres Vorgehen als bisher vorgeschlagen wird. Das scheitert aber immer wieder am Widerstand der Regierungen im Ministerrat oder im Europäischen Rat. Den regierenden Parteien muss jetzt mit einem entsprechenden Wahlergebnis ein deutliches Signal gesendet werden.

Laut Weltklimarat sind die nächsten 10 Jahre entscheidend. Denn der Ausstoß von Kohlendioxid (CO2) und anderen Klimagasen muss von 2010 bis 2030 um 45 % fallen und um 2050 bei null liegen, um die Erderwärmung noch auf 1,5 Grad zu begrenzen. „Pfade, welche die globale Erwärmung ohne oder mit geringer Überschreitung auf 1,5 °C begrenzen, würden schnelle und weitreichende Systemübergänge in Energie-, Land-, Stadt- und Infrastruktur- (einschließlich Verkehr und Gebäude) sowie in Industriesystemen erfordern“, so der Bericht.

Diesen Erkenntnissen stehen in Deutschland die Zahlen gegenüber, die aus der Untätigkeit der Regierung resultieren. Denn aus den Statistiken des Bundesumweltsamt ist ersichtlich, dass es zwischen 2009 und 2017 zu keinen signifikanten Rückgängen bei den Emissionen mehr gekommen ist. Nach 1990 sanken die Treibhausgas-Emissionen hauptsächlich wegen der Umstrukturierungen der DDR-Industrie nach der Wende. Seit dem Jahr 2000 gab es leichte Rückgänge und 2009 eine sprunghafte Abnahme wegen der Wirtschaftskrise – nicht etwa aufgrund von wirksamen Klimaschutzmaßnahmen. In manchen Jahren sind seitdem die Emissionen etwa wegen eines milden Winters ein bisschen gesunken, um dann wieder anzusteigen. 2018 sind sie nach ersten Prognoseberechnungen ein bisschen mehr gefallen, aber auch da spielt der Dürresommer oder das niedrige Rheinwasser eine Rolle.

Mit den gegenwärtig in Deutschland und in der EU geltenden Zielen würden signifikante Reduktionen erst nach 2030 erreicht, so sie denn überhaupt eingehalten werden. Deshalb ist zum Beispiel ein Kohleausstieg 2038 zu spät. Die EU strebt bis 2030 lediglich eine Senkung der Treibhausgas-Emissionen um 40 % – allerdings gegenüber dem Jahr 1990 – an. Das ist viel zu wenig um die zerstörerischen Folgen der Klimakrise abzuwenden.

Die notwendigen Entscheidungen müssen im Bereich Klima- und Umweltschutz von vielen Ländern gemeinsam getragen werden, um eine Wirkung zu entfalten. Folgerichtig ist die EU auch für einen Großteil der Umwelt- und Klimaschutzpolitik zuständig. 80 % der Umweltgesetze, die in Deutschland gelten, haben ihren Ursprung in der EU. Gesetze im Bereich Umweltschutz erfordern eine Zustimmung des Europaparlaments und des Ministerrats. Allerdings kann nur die EU-Kommission eine Gesetzesinitiative ergreifen.  Das Parlament kann die Kommission lediglich dazu auffordern. Letztlich kann der Ministerrat jeden Vorschlag zum Scheitern bringen. Ein starkes Parlament, das mit einer hohen Wahlbeteiligung gewählt wurde, kann aber auch von den Minister*innen der Mitgliedstaaten nicht so einfach ignoriert werden.

Im vergangenen Dezember wurde erstmals ein Vorschlag der EU-Kommission, nämlich den CO2-Ausstoß von Neuwagen bis 2030 um 30 % zu verringern, verschärft und nicht verwässert. Am Ende einigten sich EU-Parlament, Ministerrat und EU-Kommission auf 37,5 % im Vergleich zu dem Wert, der 2021 erreicht wird. Der Prozentsatz bezieht sich auf den Flottenwert, das heißt die Automobilhersteller müssen möglichst viele Fahrzeuge ohne Emissionen absetzen, um den Grenzwert im Flottendurchschnitt einzuhalten.

Großen Anteil an dem beschlossenen Wert hatte das EU-Parlament, das dem Vorschlag der Kommission immerhin eine Forderung nach einer Senkung um 40 % entgegensetzte. Auch nach Ansicht der Abgeordneten im Umweltausschuss, die 45 % forderten, und der Umweltminister*innen, die 35 % für erforderlich hielten, griff der Vorschlag der Kommission zu kurz. Umweltverbände fordern 60 bis 70 %. Die europäischen Grünen begrüßten die letztlich beschlossenen 37,5 %, obwohl der Fraktion die Ziele nicht weit genug gehen. „Dieser Kompromiss ist das Beste, was mit den Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten zu erreichen war“, erklärte die Abgeordnete Rebecca Harms.

Bis zuletzt hatte die deutsche Bundesregierung versucht, die strengeren Vorgaben zu verhindern. Angela Merkel unterstützte den Vorschlag der Kommission. Dieser sei eine vernünftige Grundlage. „Alles, was darüber hinausgeht, birgt die Gefahr, dass wir die Automobilindustrie aus Europa vertreiben.“ VW-Chef Herbert Diess hat im Gegensatz zu den anderen Autobauern inzwischen angekündigt, den Anteil der E-Autos am Gesamtabsatz beträchtlich zu erhöhen. Es ist ja auch die Frage, ob die Bundesregierung der Automobilindustrie nicht mit ihrer reflexartigen Ablehnung jeglicher Vorgaben einen Bärendienst erweist. Wenn die Hersteller technologisch völlig ins Hintertreffen geraten, werden die Arbeitsplätze jedenfalls auch verloren gehen.

Einfacher als eine solche Durchsetzung konkreter Maßnahmen zur CO2-Minderung ist immer die vollmundige Ankündigung in weiter Ferne liegender Ziele. Gegenwärtig wird die langfristige Strategie der EU bis 2050 verhandelt. Der von der EU-Kommission im November vorgelegte Entwurf sieht eine Senkung des Treibhausgas-Ausstoßes bis 2050 auf null vor. „Die EU-Kommission hat mit ihrer Langfriststrategie als erste Industriegemeinschaft eine Antwort auf den Sonderbericht des Weltklimarats zum 1,5-Grad-Ziel vorgelegt“, sagte Michael Schäfer vom WWF nach einem Bericht des Portals klimareporter. Das sei ein großer Schritt nach vorn. Beim Europäischen Rat im März wurde das Thema nun allerdings erst einmal vom Brexit überlagert. Es soll erneut im Juni diskutiert werden – also direkt nach den Europawahlen.

Die Europawahlen im Mai sind eine Gelegenheit, mehr Klimaschutzmaßnahmen einzufordern. Wir brauchen neben der Umstellung auf erneuerbare Energien und dem schnellen Kohleausstieg eine andere Landwirtschaftspolitik, eine wirkliche Mobilitätswende mit einem konkreten Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, eine CO2-Bepreisung, Gebäudesanierungen in großem Umfang … Je länger nichts passiert, desto einschneidender werden die Einschränkungen sein, die wir alle werden tragen müssen. Den Umweltpolitiker*innen muss der Rücken gestärkt werden, auch wenn ihre Vorstöße noch zu zaghaft sind. Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch die größere Legitimation des Europaparlaments, die mit einer signifikant höheren Wahlbeteiligung als bei den letzten Wahlen (in Deutschland 48,1 %) einhergehen würde.

Während uns die Zeit davonläuft, behauptet der CSU-Verkehrsminister, höhere Dieselsteuern und ein Tempolimit seien „gegen jeden Menschenverstand“ gerichtet. Während Klimaforscher*innen von einer verlorenen Dekade sprechen, ist es auf innerdeutschen Strecken immer noch billiger, sich in den Flieger zu setzen, statt die Bahn zu nehmen. Während die Äußerungen von Wissenschaftler*innen zunehmend verzweifelter klingen, setzt die Bundesumweltministerin weiter auf freiwillige Selbstverpflichtungen des Handels bei Verpackungen. Es ist offenkundig: Diese „Profis“ brauchen ein sehr gutes Wahlergebnis der Grünen!